Martin Pfeifle
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Smintheion

mit Christoph Westermeier

OFFRAUM 8  Martinstr. 58  40223 Düsseldorf

 

 

 

Martin Pfeifle / Christoph Westermeier :  „Smintheion“                        OFFRAUM 8

 

„Sehen wir uns in den Zimmern um, in denen wir leben, da können wir sehen, wie wenig der, welcher nur seine eigene Zeit kennt, selbst hier Alles richtig verstehen kann. Hier ist ein assyrisches Geissblatt, dort die Lilie Anjous, ein Gesims mit einer griechischen Borte läuft um die Decke, der Styl Ludwigs XIV. und sein Vorgänger, die Renaissance, theilen sich in den Spiegel. Der Gestalt nach verändert, an einen anderen Ort versetzt oder verstümmelt tragen solche Bestandtheile der Kunst ihre Geschichte aufgeprägt; und wenn die noch ferner liegende Geschichte weniger leicht zu lesen ist, so haben wir kein Recht, weil wir sie nicht deutlich erkennen können, zu sagen, daß dort überhaupt keine Geschichte mehr ist.“[1]

Martin Pfeifle und Christoph Westermeier erinnern uns in der Ausstellung an die Überlieferungen der Antike. Sie glauben fest an deren „Stärke“. Zu dieser Überzeugung gehört der Prozess, die eigene Zeit prüfend zu sehen, wie der britische Ethnologe Edward.B.Tylor betont, um „hier Alles richtig verstehen zu können“.

Die Fotoarbeit von Christoph Westermeier in der Ausstellung im Offraum 8 dreht sich um das Motiv des „Dornausziehers“. Sie zeigt Martin Pfeifle in dem Moment, als er, auf einem Teil einer Säulenbasis, einer antiken Imitation, seinen Kopf und Rumpf beugt, um Dornen aus der Sohle seiner Sandale zu entfernen. Seine Körperhaltung ist mit der des sog. kapitolinischen Dornausziehers fast identisch. Der kapitolinische Dornauszieher gilt als das Vorbild für zahlreiche Nachbildungen, denen neue Aspekte im Laufe der Zeit zugefügt wurden.

„Das Mittelalter griff die Symbolik des Dorns auf und schuf neue Versionen des Dornausziehers. (...) In Monatsdarstellungen der mittelalterlichen Kunst Italiens stellt der Dornauszieher den Monat März dar. (...) Ein Wiederaufgreifen antiker Auffassungen erfolgte in der Renaissance seit dem 15. Jh., teils in freier Formulierung (Michelangelo, „Kauernder Jüngling“, 1513-16), teils in Anlehnung an den kapitolinischen Dornauszieher und als bewegte Haltungsformel in zahlreichen Gemälde.“[2]

Goethe, der diese Haltung mit dem Ausdruck der Leidenschaft in Verbindung bringt, merkt folgend an: „Geht die Kunst zum leidenschaftlich Bedeutenden über, so kann sie wieder auf dieselbe Weise handeln: sie stellt uns entweder einen Kreis von Gestalten dar, die untereinander einen leidenschaftlichen Bezug haben, ... oder sie zeigt uns in einem Werke die Bewegung zugleich mit ihrer Ursache. Wir gedenken hier nur des anmuthigen Knaben, der sich den Dorn aus dem Fuße zieht,...“[3]

Im Ausstellungsraum erscheint Martin Pfeifle zweimal jeweils als Bild auf einem Banner gedruckt. Beide Abbildungen unterscheiden sich in der Körperhaltung Pfeifles nur leicht voneinander. Die Frage, ob die Haltungen in einer Kausalitätsbeziehung stehen, schwebt jedoch in der Luft. 

Zwischen einer privaten und öffentlichen Sphäre pendelte unser Gespräch, als ich mich mit Pfeifle und Westermeier in deren Atelier (ein Komplex aus Wohnung in der oberen Etage, einer Werkstatt direkt darunter und einem von einem Sonnenschirm á la Mediterran geschützten Chill-Out-Platz neben der Treppe) traf. Martin Pfeifle erzählte von seiner Idee einer aus LED-Lampen bestehenden Skulptur. Die Lampen sollen durch zwei Metallringe zusammengebündelt und im Raum vertikal errichtet werden, wie eine Säule. Eine Säule heutzutage wird vornehmlich als ein stützendes Bauglied betrachtet. In der Antike charakterisierte sie sich durch unterschiedliche Aufbausegmente und Ordnungen und vermittelte dem ganzen Gebäudekörper den Rhythmus. In der „Baustilkunde“ von Wilfried Koch findet man folgende Definition zur Säule, besonders die in Bezug zur Antike:

„Säule, stützendes Bauglied mit rundem, polygonalem oder profiliertem Schaft-Querschnitt. Ursprünglich trägt die Säule ein Gebälk, seit römischer Zeit auch Mauern über Bögen und wird auch dekorativ ohne tragende Funktion angebracht. Sie kann frei stehen oder als Wandsäule bzw. Pfeilervorlage nur teilweise hervortreten. Bei großer Höhe, aber kleinem Querschnitt heißt sie Dienst. Hauptbestandteile sind Basis (Fuß), Schaft und Kapitell, zwingend notwendig ist nur der Schaft. Er kann sich nach oben oder nach unten verjüngen, eine Entasis haben oder gleichbleibend dick sein.“

Die „Säulen“-Skulptur Pfeifles kennzeichnet sich durch eine offene Struktur, in der das Licht die Grenze zwischen dem Innen und Außen aufhebt. Die dreifache Ausführung dieser Skulptur verstärkt die Helligkeit im Raum. Die Herausgeberin seines neuesten Katalogs, die Kunsthistorikerin Isabel Hufschmidt, beschreibt den Aspekt des Lichtes in seiner Arbeit folgendermaßen: „Bei Pfeifle wird das Lumen die Sendegröße des Lichts, zum plastischen Bild- und Erfahrungsverfahren“.

Die Stärke der Antike proklamieren die beiden Künstler, indem sie diese in ihrer Bild- und Bildhauerpraxis durch Mittel wie Dynamik, Materialauswahl, Modulsysteme und Ort-/Situationsspezifik neu definieren.

Wer sagt, die Gegenwart trage die Zeichen zahlreicher Vergangenheiten, der behauptet in erster Linie die Unzerstörbarkeit eines Abdrucks der Zeit – oder der Zeiten – in den Formen unseres gegenwärtigen Lebens. So spricht denn Tylor von der „Stärke“ oder „Ausdauer“(strength) solcher survivals, durch die – eine weitere Metapher – „alte Gebräuche ihren Platz behaupten können inmitten einer neuen Culture“.[4]

 

Ji Sue Byun

 


[1] B.Taylor, Edward; „Primitive Culture“; 1871, Bd. I, S.16 (dt.Bd.I, S.18) Zitiert von Georges Didi-Huberman, in: „Das Nachleben der Bilder“; 2010, S. 61-62.

[2] Olbrich, Harald Hrsg.; „Lexikon der Kunst dtv“ Bd. 2; 1996, S. 198.

[3] Grumach, Ernst; „Goethe und die Antike“ Bd.2; 1949, S. 546-547.

[4] E.B.Tylor 1871, Bd.I, S.64 (dt. Bd. I, S.71) Zitiert von Didi-Huberman; 2010, S.62-63.