Martin Pfeifle
exhibitions
vita
texts
contact
newsletter

flowpole

Der Titel flowpole ist assoziativ und rätselhaft, es ist ein Kunstwort, denn einen solchen Begriff gibt es nicht. Helfen frei übersetzte Wortbestandteile des Titels wie fließen, Pol oder Stange? Auf die Bewegung des Lichts, sein Fließen, komme ich noch zurück, aber zuerst ist eine präzise Analyse der materiellen Gegebenheiten zum Verständnis nötig. Die von Martin Pfeifle für die Fuhrwerkswaage in Köln konzipierte Installation flowpole besteht aus 120 wetterfesten Leuchtstoffröhren, die exakt an der gleichen Stelle der Wand im Innenraum und an der Außenwand in Richtung Parkplatz und S-Bahnhaltestelle der Stadtbahn Linie 16 angebracht sind. Direkt vis-à-vis der Fuhrwerkswaage befindet sich die Haltestelle Sürth. Hier sitzen bei den kurzen Stops über den Tag ca. 13.000 Fahrgäste in den Bahnen und warten auf deren Weiterfahrt nach Köln oder Bonn. In den neun Wochen Laufzeit von flowpole sind so mehr als 500.000 potentielle Betrachter erreicht worden. 

Die die Installation tragende Längswand des Ausstellungsraums ist mit 45 Zentimetern Stärke schon selbst ein massiver Raumkörper, der als Träger zwischen dem öffentlichen Wirkungsraum außen und der white cube-Atmosphäre im Inneren wie in einem Sandwich steckt. Die dominierenden weißen Neonröhren sind einen Meter lang und haben jeweils 36 Watt Leistung. Das Ausstellungshaus leuchtet also weit in die Nacht hinaus – von 17 bis 23 Uhr –, und im Inneren wird der Besucher regelrecht geblendet, sobald er den Raum betritt. Die Anordnung der Leuchten wirkt wie eine Grafik, der Anbringungswinkel von jedem Leuchtmittel ist mathematisch exakt geplant. Bei meinem ersten Besuch habe ich mich gefragt, warum die Lampen erst in rund einem Meter Höhe beginnen, wenn es, wie sofort erkennbar, um ein all-over geht – von innen wird der Grund sofort klar, denn bei der Planung für die Aufrasterung ist Martin Pfeifle von den Maßen der Innenwand ausgegangen, die eben einen Meter über dem äußeren Bodenniveau beginnt: 6 Meter Höhe und 15,60 Meter Breite. Die zwei vertikalen Reihen Leuchtstäbe, die die in Richtung Goldener Schnitt aus der Mitte verschobene Spiegelachse markieren, sind unmittelbar über dem Fußboden montiert. Mit zunehmender Neigung aus der Vertikalen vergrößert sich dann der Abstand vom Boden, damit die oberen Enden der Lampen immer eine gerade Linie bilden.

Aus der Nähe betrachtet ist die grafische Wirkung allerdings entscheidend durch die spielerische Verkabelung geprägt, deren schwarz ummantelte Umhüllung draußen aus der Ferne durch die rötlichen Backsteine kaum sichtbar ist, im Inneren jedoch eine schwarz-weiße Grafik bildet. Der Strom für jede der fünf Reihen kommt aus einer Verbindung, die Lampen sind also hintereinander geschaltet. Die Kabel führen von oben in die wasserdichte Metallverkleidung hinein, um dann den Strom weiter zu leiten und erneut von unten in einem eleganten Bogen nach oben in die nächste Einheit zu laufen. Die Länge der Kabel ist so und immer gleich gewählt, dass ihr unterer Scheitelpunkt in einer Reihe immer auf der gleichen Höhe liegt. Deswegen müssen sie an der Spiegelachse auch viel länger sein, denn hier ändert sich die Richtung, sie kippen nach rechts oder links weg. Hier werden diese zwei Lampen jeweils von oben angeschlossen, was dazu führt, dass das Kabel der untersten Reihe, die ja fast den Boden berührt, sich ringelt. 

Diese formale Beschreibung ließe sich noch weiter verfeinern, doch auch jetzt wird schon deutlich, dass es sich bei flowpole um eine viel komplexere Angelegenheit handelt, als es auf den ersten Blick scheint. Der Anfang dieser Installation ergab sich aus einer Reihe von Setzungen, die sich auf die architektonischen Gegebenheiten der fast einhundert Quadratmeter großen inneren Wand bezogen, woraus dann die Erscheinung an der Außenwand abgeleitet werden konnte. Doch ist mit einer präzisen Beschreibung aller Details schon die ganze Arbeit ausgelotet? Sicher nicht, und das spürt der  Besucher ganz unmittelbar, wenn er eine Weile in das gleißende Neonlicht schaut. Licht als Material, als künstlerisches Gestaltungsmittel ist nicht neu, und wenn ein Ahnherr aus der Kunstgeschichte für Pfeifles Arbeit gesucht wird, fällt schnell der Name Dan Flavin. Doch die Unterschiede ihrer künstlerischen Intention sind offensichtlich. Während Flavin nach abstrakten geometrischen Formen suchte, die der minimal art nahe stehen, hat Pfeifle Freude daran, eine Vorstellung mit geeignetem Material umzusetzen, aus Holz oder sogar aus Lichtstäben. Das Licht von flowpole flimmert, es pulsiert – es lebt, und damit ist hier keine technische Unzulänglichkeit beschrieben, sondern ein zentraler Bestandteil der Arbeit. Es ist ein Flirren wie beim Blick in die Ferne über heißen Asphalt oder in der Wüste. Kurzzeitig dachte ich an eine Fata Morgana, es kam mir unerklärlich vor, dass eine so starke Lebendigkeit und wellenförmige Bewegung von eigentlich gleichmäßigen Lichtquellen ausgehen sollte, zumal dieses Phänomen aus der Ferne nicht sichtbar ist.

Bei noch genauerem Studium der Details werden dann immer mehr Unregelmäßigkeiten sichtbar, die nicht mit der handwerklich-menschlichen Anbringung zu tun haben, sondern mit dem industriell gefertigten Serienprodukt Leuchtstoffröhren. Und jetzt sage bitte niemand, das sei doch klar, diese Röhren würden natürlich flackern, das ginge wegen ihres physikalischen Bauprinzips und der Funktionsweise des Starters überhaupt nicht anders. Schon klar, dass sich meine Beobachtung physikalisch-technisch leicht erklären lässt, wenn auch nicht von mir, denn ich bin kein Physiker und verstehe das regelmäßige Zünden von Gas in einer luftdichten Glashülle, durch dass sich relativ energiesparsam Licht erzeugen lässt, nur in Ansätzen. Es mag also sein, dass meine Faszination für meine Beobachtung romantisch und naturwissenschaftlich betrachtet als schwärmerisches Nichtwissen zu klassifizieren ist, aber so geht es auch immer mit den beliebt-berüchtigten Sonnenuntergängen, deren physikalische Erklärung ebenfalls ziemlich simpel ist: Sonnenlicht fällt durch die Atmosphäre, die dazu noch durch Staub und Rauch verschmutzt ist, aber wenn ich einen eindrucksvollen sehe, am Strand einer Mittelmeerinsel beispielsweise, dann finde ich es schon toll.

Der Eindruck vor oder in der Installation von Martin Pfeifle ist jedoch ein anderer, denn es ist mir beim Schauen immer bewusst, dass die Bewegung des Lichtes, das Flimmern und das dadurch hervorgerufene leichte Schwindelgefühl durch von Menschen erfundene, aber maschinell hergestellte Objekte hervorgerufen wird. Dem Naturphänomen Sonnenlicht und seinem Verschwinden am Abend wird gemeinhin zugestanden, sentimentale Gefühle hervorzurufen, die Gefühle, die durch artifizielle Produkte hervorgerufen werden, sind eher körperlicher Natur wie Schwindel. Allerdings hat die Gleichmäßigkeit der Serienproduktion auch ihre Grenzen, und daraus bezieht Pfeifles Arbeit einen Teil ihrer Lebendigkeit: Nicht alle Lampen leuchten gleichmäßig, manche sind einfach etwas lichtschwächer oder fangen im Laufe der Zeit an zu flackern. Wichtig ist außerdem, dass die 45 Zentimeter dicke Wand ja nicht gleichmäßig strukturiert ist, weder innen noch außen. Es gibt zwei vergitterte Fenster links oben unter dem Dach, also spiegelverkehrt rechts oben im Innenraum, über die die Leuchten genauso hinwegmontiert sind wie über das dazwischen hängende Schild mit dem blau-weißen Schriftzug FUHRWERKSWAAGE KUNSTRAUM auf orangerotem Grund. Weitere frühere Fensteröffnungen sind zugemauert, was von außen deutlich erkennbar ist an den helleren weil neueren rötlichen Ziegelsteinen. 

Es bleibt der Eindruck einer grafischen Struktur, die an die exakte Anordnung von Eisenstaub erinnert, wenn ein Magnetfeld angelegt wird, oder die wie ein Emblem mit fächerförmig aufstrebenden Strahlen aussieht. Ist flowpole also doch ein abstraktes Sonnensymbol, von der Endlichkeit der Wand begrenzt, aber in der Vorstellung nach oben und zu den Seiten ins Weltall unendlich erweiterbar? Nach unten nicht, da liegt der Fluchtpunkt aller Linien auf der Spiegelachse nur ein paar Meter unter der gegebenen Basislinie. Das kleine Multiple aus Plexiglas, das Martin Pfeifle für die Ausstellung entworfen hat, greift diese Vorstellung auf und übersetzt die ins Unendliche ausgreifenden Lichtblitze in das Bild eines unregelmäßigen strahlenförmigen Fächers. Die Lichtstrahlen beschreiben als Spiegelungen auf den parkenden Autos elegante Linien, und es könnte der Eindruck entstehen, wenn man den schönen Katalog durchblättert, diese Brechungen und Verformungen sind das verborgene, das eigentliche Ziel von Martin Pfeifle.

Georg Elben