Martin Pfeifle
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»Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.«1

Nach dem Inhalt nix wie raus ins Paradies ...


groß – zu erlaufen – umschreitbar – raumfüllend – materialintensiv –materialimmanent – ungegenständlich – sockellos – feldartig –linear – flächig – vertikal – vielteilig – aufgefaltet – zweiseitig


Martin Pfeifles Arbeiten sind Schnitte in den Raum. Obwohl immer ortsbezogen und in situ gebaut, existieren seine Setzungen doch

als selbstreferentielle Skulptur. – Kaum ist diese Entdeckung formuliert, verdichtet sich im Umschreiten das eben gebaute oder beschriebene Volumen in die schein-zweidimensionale Fläche hin zur ortsbezogenen Malerei. Auch hier halten die Arbeiten nicht inne, sondern schichten sich sandwichartig im Dialog mit Arbeiten anderer KollegInnen zu begehbaren Diskurswelten. Keine der benachbarten Arbeiten gibt in einem solchen Prozeß ihre Identität auf, vielmehr bildet die Summe der Einzelteile ein Mehr, das den Schauenden auf sich selbst zurückwirft. Ist es doch die Standortnahme des Betrachtenden selber, die das Wesen von Pfeifles Raumgriff immer wieder neu in Erscheinung treten läßt und gleichzeitig die Unmöglichkeit des »auf einen Blick Erfassens« vor Augen führt. Punktuell können Pfeifles Setzungen in den Blick genommen werden. In einer solchen Blicknahme ist der Bezug des gesehenen Ausschnitts zum Restraum immer größer, als der Bezug des gesehenen Ausschnitts zur restlichen Arbeit. Es entstehen Raumzueignungen, die im Sinne einer wechselseitigen Dynamisierung die künstlerische Setzung mit dem gastgebenden Umraum verquicken. So erlebt sich der Betrachtende einerseits als Teil einer Gruppe Mitschauender und ist sich doch im selben Moment seiner einzigartigen, persönlichen Mitschöpfung des jeweiligen Raumbildes bewußt. Dieses Hineinreichen in den Individualraum des anonymen Betrachters geschieht ohne Belehrungs- oder Aufklärungsabsicht – es soll kein Inhalt oder Mitteilungswert der künstlerischen Setzung transportiert werden.

Nach dem Inhalt nix wie raus ins Paradies ...

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist hier das Anliegen, der fordernde Respekt, einen entdeckenden Blick zu riskieren und in der Entdeckung das Gesehene weiterdenkend zu ändern oder sich selber geändert zu finden. Hier greift Rilkes Satz, den er 1908 sein lyrisches Ich in der Dingbetrachtung des »Archaischen Torsos Apollos« gipfeln läßt: »...denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.« Schwärmerisch nähert er sich in der Betrachtung der Plastik des befreundeten Rodin und schöpft kongenial den Satz, der heute in anderem Kontext seine Relevanz vorträgt: – Das Kunstwerk, das nicht nur betrachtet wird und der Betrachtung ausgeliefert ist, sondern selbst in die Welt schaut und deren Blick fordert – auf Pfeifles Arbeit und in den heutigen Diskurs übertragen: das Thema der eingeforderten und der abgegebenen Autorenschaft, die Grenzen und Möglichkeiten der schöpfenden Betrachtung, die eigenweltliche auratische Gestalt des Kunstwerkes in der Zeit seiner demokratischen Verfügbarkeit und Auflösung im Alltag. Scheinbar Unzuvereinbarendes wird Pfeifle – wie einer ganzen Reihe KollegInnen – zur dialektischen Inspiration. Bei Pfeifle geschehen die Aneignung von Welt und die Formulierung seines Werkes mit Hilfe einer geometrischen Zergliederung. Er bricht das von ihm Betrachtete wie das von ihm Gebaute in kleinere Elemente – deren Form ist dabei immer eine ästhetische Erfindung, die ornamentale Präsenz besitzt und doch ganz funktionales Moment bleibt. Ähnlich einer Auffaltung setzen sich Flächen zu Körpern zusammen, wie z.B. seine selbstreferentielle sockellose Plastik »Clydesdale Bank« für den Ausstellungsraum Binterimstraße, Düsseldorf, 2002, oder »time is flying in your company«, öffentlicher Parkplatz, Bremerhaven, 2003. Zwischen zwei blattartigen Schalholz-Faltungen verdichtet sich der Luftraum derart, daß die Skulptur nicht nur drei Parkplätze einnimmt, sondern in ihrer Dichte den ganzen Parkplatz auf sich zu beziehen scheint. Der motivische Ausflug in die nähere Umgebung der Parkplatzbrache, nämlich zur Reliefdecke der

Bürgermeister Smidt Kirche, ist hier zwar auslösendes Moment für Pfeifles Formfindung gewesen, wird aber so frei weiter getrieben, daß von einer wechselseitigen Dynamisierung statt einer bloßen motivischen Entlehnung gesprochen werden muß. Pfeifles lapidarer Griff und das von ihm gewählte povere Schalholz-Material gewinnt in seiner Alterung – die Ausstellungszeit betrug drei Monate – der properen Formfindung eine sinnliche Präsenz hinzu, die seine Plastik im Gegenüber der glänzenden Lackkarosserien ins Auratische steigert. Derselbe Vorgang der geometrischen Zergliederung bzw. zergliedernden Raumaneignung zeigt sich in seinen »Wandfolgen«, die sich mittels ihrer Bauelemente grafisch dekonstruieren wie bauen und dabei bildhaft in die Fläche ziehen. Als Beispiele dieser begehbaren ortsbezogenen Malereien seien exemplarisch genannt: »She gave her soul to the deviland bought her flat by the sea«, Projektraum der Galerie Christa Schübbe, Düsseldorf, 2003, »Makitamädchen«, Syrius, Düsseldorf, 2003. Eine besondere Stellung nehmen dabei Arbeiten ein wie: »Und die Nachbarn gaffen«, Bittweg Düsseldorf, 2000, »WILLKOMMEN!«, Kunstverein

Schorndorf, 2003 oder »wir sind da wo oben ist«, Raum 500, München, 2005. Diese Arbeiten mäandern durch den gesamten dreidimensionalen Raum, verbinden sich in der Ansicht unrevidierbar mit der gastgebenden Architektur und verdichten sich verblüffend durch die Standortnahme des Betrachtenden in die momentane Scheinflächigkeit. Exemplarisch nimmt sich die frühe Arbeit »Bittweg 2« in einem leerstehenden Wohnhaus ihren Platz. Ein langer Hausflur führt auf den Stirnraum zu, dessen »Füllung« sich im ersten Eindruck in bildhafter Verdichtung als geometrisches, diagonal gestreiftes Bild darstellt. Zusammen mit der Türfüllung und dem dahinter liegenden Lichtvolumen des Raumes zeigen sich schräg über die Türöffnung geführte, scheinflächige Diagonalen. Im Herantreten offenbaren sich diese Diagonalen als kastenartige Volumen aus Gipskarton, die vom Boden spiralartig über Wände, Türe und Fenster zur Decke verlaufen. Dem Betrachter den Eintritt verwehrend gibt sich die Arbeit immer nur in Teilansichten und im Zusammenblick mit der gastgebenden Architektur preis. Als Licht dienen fünf vom Künstler gesetzte Neonröhren, die einerseits Raum und künstlerischen

Raumgriff beleuchten, andererseits integrales, grafisches Element der künstlerischen Arbeit sind. Pfeifle nutzt den Ausstellungsraum immer als Atelier, von dem aus »Streif- und Raubzüge« in die Restwelt unternommen werden. Ohne die Präsenz oder Bedeutung des »white cubes« in Abrede zu stellen, gewinnt er ihm Satelliten durch die Übergriffe in die Alltagswelt hinzu. Der Ausstellungsraum

selbst wird thematisiert und lebensweltliche Möglichkeiten zur Lösung künstlerischer Fragestellungen herangezogen. Die »Neobar«, 1998 – 2002, nimmt in den Jahren ihres Bestehens immer wieder neue Formen an und findet neue Orte und Gründe für ihr Auftreten: eine soziale Plastik, die Diskursraum, Fun und amöbenhafte Rauminstallation zugleich ist. Das Interesse der Öffentlichkeit wird immer vorausgesetzt, oft sind die Künstler ihre eigenen Auftragsgeber. Die im öffentlichen Raum realisierten Arbeiten laufen so nie Gefahr, die Ausnahmesituation und somit den Erlebnisraum für »die Anderen« schaffen zu wollen, sondern sind Verlängerung des künstlerischen Selbst. Emphatisch und über die Umdeutung des durchweg poveren Materials nähern sich die raumgreifenden Setzungen ihren gastgebenden Orten und eignen ihnen Eigenweltliches zu. Die ganzheitliche Verquickung von künstlerischer Handlung und Lebensweltlichkeit hat bei Pfeifle und seinen KollegInnen zu einer eigenartigen, besonderen, vielleicht anachronistischen Arbeitsweise geführt, die herausgestellt werden soll. Besonders auch die außerordentliche und kritische Zusammenarbeit von Seb Koberstädt

und Martin Pfeifle. Auf der einen Seite erarbeitet jeder seine ganzheitlich eigene Raumlösung, auf der anderen Seite gehen sie immer

wieder neu das Risiko einer Überlagerung ein. Parallel geführte, separate Realitäten begegnen sich in ein und demselben Raum. Sie lassen unerwartete Synergien und Raumzusammensichten zu und führen zu Sandwich-Arbeiten, bei denen sich die Summe der Einzelarbeiten zu einem ungeahnten, großzügigen Mehrwert addiert.

Die Neugier auf Martin Pfeifles Arbeit für die Kunsthalle wächst.

/ Leni Hoffmann