Martin Pfeifle
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Martin Pfeifle

Es ist nicht gerade, wenn es gebogen ist

Brian O’ Dohertys Theoriewerk Inside the White Cube hat den modernen Galerieraum aus seiner vormals jungfräulichen Betrachtung geholt. Die reduziert weiße Zelle ist heute keine neutrale Fläche mehr, vielmehr steht sie für eine Gesellschaft mit festen Ideen und Werten. Was bleibt? Die architektonische Box zu ignorieren oder wie O’ Doherty rät: „Wenn wir diese weiße Zelle nicht einfach loswerden können, sollten wir versuchen, sie zu verstehen“. Die Wand, so der Autor, „ist unsere Projektion“1. Nicht nur die Wand, oft die Struktur des gesamten Raumes binden Martin Pfeifles Skulpturprojekte ein. Die exakte Bemessung des Ortes geht seinen kontextbezogenen Arbeiten offensichtlich voraus. Pfeifles Skulptur Ponta Mousson etwa führte die schmale Ladengalerie „Marks Blond Projekte“ in Bern 2005 buchstäblich an ihre Grenzen. Schon nach einem Schritt in die Ausstellung, beschnitt das raumfüllende Werk Besuchern den Weg. Wollte man die Skulptur ganzheitlich wahrnehmen, musste man raus auf die Straße, durch die Fensterfront ins Innere schauen. Doch die Glasscheibe hielt den Betrachter auf Distanz – intensivierte den Eindruck, Pfeifle habe die hüfthohe Skulptur aus einem massiv rötlichen Metall gefertigt.


Was vom Farbeffekt an die aufpolierten Aluminiumboxen Donald Judds erinnerte, hatte Pfeifle vor Ort mit minimalen Mitteln selbst produziert. Tatsächlich verwendete er mit Kupferchromspray besprühte Rigipsplatten, die er in Streifen schnitt, knickte und zu einem Volumen zusammenfügte. Das Spiel mit der Realität und dem Fake – mit Materialien, die Masse, Ausdehnung oder Stabilität suggerieren – ist der rote Faden ins Pfeifles Werk. Der frühere Meisterschüler Hubert Kiecols an der Kunstakademie Düsseldorf spielt unsere Summe an scheinbar determinierten Erfahrungen geschickt aus. Vor das Rundbogenfenster der Kunstakademie platzierte er 2003 ein gekacheltes Wandelement, dessen Muster die Gitterstruktur des Fensters aufnahm. Unmittelbar vor dem Werk entdeckte man den Fake – die Skulptur aus türkis lackierten Spanplatten mit gefrästem Kachelmuster gab sich als architektonisches Zitat zu erkennen. Pfeifles künstliche Erzeugnisse vermitteln oft Schwere wo Leichtes ist. Das fabrikartige Hallentor in einer Düsseldorfer Ausstellung 2003 bestand in Wahrheit aus mit Chromspray besprühter Folie. Das Stabile könnte unerwartet in einen instabilen Zustand übergehen, die Folie könnte leicht an Spannung verlieren, das Wandfragment an Balance.


Unter Verwendung fragiler Industrieprodukte Folie, Pappe, Styropor oder Rigips lotet Pfeifle die physikalischen Eigenschaften seiner Objekte aus. In Anknüpfung an die Minimal Art Ästhetik kalkuliert er die Wahrnehmung des Rezipienten im Entstehen mit ein. Gerade so hoch, dass der Kopf eines Besuchers durchpasste und so breit, dass dieser durch einen schmalen Gang gehen konnte, war Pfeifles Arbeit erap im Vorjahr in der Berliner Galerie Asim Chughtai. Von außen erweckte erap den Anschein eines kompakten Betonkörpers, der den Raum in die Enge trieb. „Je größer ein Element ist, um so mehr sind wir gezwungen auf Distanz von ihm zu bleiben“2, beschrieb Kunstkritiker Michael Fried in seinem legendären Artforum Text „Art and Objecthood“ 1967 den „unpersönlichen“ Charakter der Minimal Objekte. Pfeifles reduzierte Skulptur mit ihrem Raum im Raumerlebnis widerlegte diese Erfahrung, indem sie den Betrachter diesmal eher umschloss als ihn auf Distanz zu halten. Sobald man die Skulptur betrat, alsdann von einer erhöhten Nische aus den inneren Kern betrachtete, entpuppte sich der als ein spiralförmiger Gang aus nebeneinander gestellten Kuben. Pfeifle hatte nicht nur den Deckel des White Cube geöffnet. Die weißen halbkreisförmigen Sperrholzkuben brachen die einheitliche Struktur des Galerieraumes förmlich auf.


„Es ist nicht gerade, wenn es gebogen ist, es ist nicht wo es war, wenn es verschoben ist“ singen die Deutschrapper Kinderzimmer Productions in „Wir sind da wo oben ist“. Aus dem Stehgreif zu improvisieren, sich einen Reim auf eine Situation zu machen, Strukturen offen zulegen – gewisse Parallelen zu Pfeifles skulpturalem Werk lassen sich hier durchaus ziehen. Durch räumliche Eingriffe verändert er für kurze Zeit den architektonischen Rahmen – dort wo die flache Ausstellungswand ist, treten Kanten oder geschwungene Formen hervor. Als Reminiszenz an die Hip-Hop-Texter überschrieben Martin Pfeifle und Seb Koberstädter ihre Ausstellung in Münchner raum 500 mit dem Titel Wir sind da wo oben ist. Wie erap entwickelte Pfeifle seine erste Compilation in München als auch Complilation II für die Kunsthalle Düsseldorf aus weißen Sperrhölzern. Das Wechselspiel zwischen außen und innen – kompakter und offener Form stellte dieses in-situ-Projekt durch den automatischen Wechsel der Lichtverhältnisse her. Über den verglasten Eingangsbereich der Kunsthalle Düsseldorf hatte Pfeile eine quer verlaufende Holzkonstruktion installiert, die konvex in den Raum schwang. Tageslicht fiel durch die jalousieartigen Lamellen. „Die Wand wird zur Membran, durch die hindurch ästhetische und ökonomische Werte sich im Osmose-Verfahren austauschen“, registrierte O’ Doherty den Einbruch der Postmoderne in den Kunstraum. In treffender Weise charakterisiert dieser Satz auch die Wirkung von Compilation II. Die Konstruktion schirmte nicht ab, vielmehr ließ sie Durchblicke auf den Baukörper der Kunsthalle und darüber hinaus auf die Vorgänge der Straße zu. Am Abend verdichtete sich die grafische Oberfläche zu einer Einheit, erweiterte die Kunsthalle um mehrteilige Röhrenkonstruktionen, die ein Dahinter – womöglich einen verborgenen Raum – vermuten ließen.


Force domani (Vielleicht morgen) heißt eine italienische Redewendung und zugleich auch der Titel von Pfeifles jüngstem Skulpturenprojekt, das im Frühjahr 2006 in einer ehemaligen Markthalle in Pescara (Italien) entstand. Eine gewisse Vorliebe für „arme“ Materialien lässt sich hier wie in allen Arbeiten des Künstlers registrieren. Aus PE-Folie legte Pfeifle eine Kreisform, die über den gesamten Boden und eine Hallenwand verlief und das Tonnengewölbe an der Decke im Durchschnitt widerspiegelte. Pfeifles Skulpturen beschreiben den Raum stets nur für die Dauer einer Ausstellung – durch ihr anschließendes Verschwinden entziehen sie sich konsequent dem Kreislauf, als Warenobjekt an verschiedenen Kunstorten zu zirkulieren. Seine Ortsmarkierungen hier und jetzt eröffnen trotz ihrer minimalistischen Ästhetik einen Raum, der eine Option – ein Vielleicht oder eine zweite Ebene zulässt. „What you see is what you see“?



Hortense Pisano



Autorenangabe:

Hortense Pisano ist Kunsthistorikerin, lebt und arbeitet als frei Kunstkritikerin und Kuratorin in Frankfurt am Main.

1 Brian O’Doherty: „In der weißen Zelle/Inside the White Cube“, Hersg. Wolfgang Kemp, Merve Verlag Berlin, S. 89.

2 Michael Fried: „Kunst und Objekthaftigkeit/ in : Artforum, Vol. No 10, Summer 1967.